4.


[270] Für den Juli 1822 war mir ein Gastspiel am k. Hoftheater in Berlin bewilligt worden. In damaliger Zeit war das eine sehr bedeutende Reise, wenn man ein längeres Gastspiel beabsichtigte. Ich ersuchte daher um eine Urlaubsverlängernug von acht Tagen. Aber meine Bitte wurde mir trocken verweigert. Später erfuhr ich, daß man mein Gastspiel in Berlin mißtrauisch beurtheilte. Man hatte nämlich anderthalb Jahre vorher der königlichen Hofschauspielerin Stich Anträge gemacht, Berlin mit Wien zu vertauschen, und besorgte, daß die Berliner Intendanz bei einem günstigen Erfolge meines Gastspieles an Repressalien denken könnte. Kurz, man hoffte wahrscheinlich, durch Abweisung meines Urlaubsgesuches mein Gastspiel zu vereiteln.

Ich erklärte der Direction, ich wurde mein Berliner Gastspiel in der gesetzlichen Ferienzeit beendigen, und entschloß mich zu dem kostspieligen Reisemittel der Extrapost.

Diese Reise ist mir dadurch besonders in Erinnerung geblieben, daß ich meine Vaterstadt Luckau berührte, in Leipzig zum letzten Male meine alte Mutter begrüßte, die 1824 starb, und daß ich mit meiner Gattin einer nicht unbedeutenden Gefahr entging.

Wir hatten nämlich mit Tagesanbruch auf der preußischen Poststation Goltzen die Pferde gewechselt. Gleich außerhalb dem Stationsorte führte der Weg an einem sumpfigen Teiche vorüber, von welchem irgend einem Zwecke der nach der Poststraße zuliegende Theil abgedämmt war. Der Postillon,[270] der vielleicht einen derben Morgentrunk zu sich genommen hatte, hieb mit einem sehr übertriebenen Diensteifer auf eines seiner Pferde los, welches immer bockte und ausschlug.

Meine Frau, durch mehrfach erlebte Reisefatalitäten ängstlich gemacht, hatte jederzeit ein aufmerksames Auge auf die jeweiligen Rosselenker. Namenntlich fürchtete sie bei Nachtfahrten das Einschlafen der Kutscher, und um das zu verhindern, conversirte sie mit ihnen nicht selten auf die unfreiwilligste Weise, oder ich fand des Morgens meine Kanastervorräthe geschmolzen, womit sie die Wachsamkeit unterstützte. Hier nun wollte sie im Gegentheile das vehemente Tempo zu mäßigen suchen. Aber kaum hatte unser Postillon auf ihre Frage, warum er auf das Thier so losschlage, zur Antwort gegeben: »I, det verfluchte Beest ist stät'sch,« so merkten wir bereits an der reißenden, stoßenden und schleuderaden Bewegung des Wagens, daß die scheugewordenen Pferde der Gewalt des Zügels entschlüpft und im Begriffe waren, von der Chaussee abzulenken und über den trockengelegten Theil des Teichbettes nach der Wasserseite zu rennen. Glücklicherweise war der Damm an dieser Stelle etwas erhöht; durch einen gewaltsamen Riß der Pferde nach der Seite brach die Deichsel, der Wagen stürzte um, und die Pferde, außer Stande, den Wagen in dem Stein- und Sumpfboden weiter zu schleppen, standen plötzlich still.

Als wir uns durch das nach oben gerichtete Wagenfenster mit Mühe herausgearbeitet hatten, ging ich nach der Station zurück, während der vor Todesschrecken schneebleiche Postillon die Pferde festhielt. Auf meinen Ruf kamen Leute zur Hilfeleistung herbei, die besonders meiner zitternden Frau Muth[271] einsprachen. Endlich kam auch der Postmeister, dem ich die heftigsten Vorwürfe darüber machte, daß er ein collerisches Pferd zum Postdienste verwende, und ich drohte, mich bei dem Generalpostdirector Nagel in Berlin zu beklagen. Nun wurde der Postmeister sehr kleinlaut und betheuerte, jeden Schaden ersetzen zu wollen. Nagel, der Schöpfer der preußischen Posteinrichtungen, war eben so gefürchtet als geachtet.

Mittlerweile war der Wagen nach der Chaussee zurückgeschafft worden. Wie aber sah die schöne Chaise aus, die ich in Wien gemiethet hatte!

Der Postmeister versprach, bis Mittag den Wagen soweit in Stand setzen zu lassen, daß wir die Reise fortsetzen könnten, und wiederholte seine Zusage, für die vollständige Herstellung in Berlin zu sorgen.

Nun mußten wir bei der karg bemessenen Urlaubszeit durch eine Laune des Zufalls auch noch auf einem elenden Neste liegen bleiben, bis uns endlich der nothdürftig geflickte Wagen wieder aufnehmen konnte.

Meine erste Frage in Berlin galt dem Befinden des genialen Phantasie-Hoffmann, den ich seit Erlangen nicht wieder gesehen hatte, und von dessen Dahinsiechen an einem entsetzlichen Leiden ich bereits Kenntniß hatte.

Devrient, der mich sogleich aufsuchte, brachte mir die relativ tröstliche Nachricht, daß Hoffmann Tags zuvor zur Erde bestattet worden war.

Das Wiedersehen Devrient's gehörte natürlich zu den größten Annehmlichkeiten meines Berliner Aufenthaltes. Leider[272] war mir die Freude versagt, mit ihm vereint aufzutreten, denn er stand im Begriffe, seinen Urlaub anzutreten.

Als er mir eröffnete, daß er eine längere Cur im Seebade und auch eine Reihe von Gastspielen beabsichtigte, drückte ich ihm mein Verwundern aus, daß er das Alles binnen zwei Ferialmonaten durchführen wollte. Er aber klärte mich mit seinem unwiderstehlichen Lächeln und mit jener prachtvollen Naivetät, die nur sein Eigenthum war, darüber auf: »Ne, alter Junge, in zwei Monaten bringt das kein Postpferd zu Stande. Weißt du, in solchen Fällen bitte ich um eine Urlaubsverlängerung; den dritten Monat geben sie mir, und den vierten nehme ich mir.«

Auf meine Frage, warum er meinen Brief in Betreff meines Gastspieles nicht beantwortet habe, wies er mir seine Hand und bemerkte: »Es geht nicht mehr recht mit dem Schreiben. Siehst Du, alter Schwede, das Charnier ist hin.« Die unverkennbaren Merkmahle des Chiragra ließen mir keinen Zweifel über die Wahrheit seiner Worte.

Auffallend waren allerdings die Veränderungen, die seit sieben Jahren in seiner Erscheinung eingetreten waren. Das Auge mit seinem tiefdunklen Glanze strahlte ein beinahe unheimliches Feuer, die Gestalt trug schon Spuren der Verfallenheit, eine traurige Folge seines Bedürfnisses, die zerrütteten Nerven durch häufigen Genuß von Spirituosen aufzureizen.

Ich sprach meinen Wunsch aus, daß er doch einmal in Wien gastiren möge.

Er schüttelte wehmüthig lächelnd den Kopf und meinte:[273]

»Ja wohl wäre mir das eine große Freude, aber ich habe nicht mehr die gehörige Courage. Siehst Du, hier bin ich zu Hause, sie haben mich Alle lieb und haben Nachsicht mit meinen körperlichen Schwächen. Wenn ich mit meinen gekrümmten Fingern ein Glas recht unbeholfen zum Munde führe oder einmal einen Brief fallen lasse, so thun sie, als ob sie es nicht sähen. Euer Burgtheater ist ein heißer Boden. Die Wiener lachen zu leicht über jeden falschen Eindruck und es thäte mir doch wehe, wenn mir dergleichen in meinen alten Tagen passiren sollte.«

Meine Augen näßten sich bei dem Gedanken, daß dieses Genie in seinem 39. Lebensjahre sich bereits zu hinfällig fühlte, um noch einen Wettlauf zu unternehmen!

Devrient zu kleinmüthig, um vor ein bedeutendes fremdes Publicum zu treten? Das kann dein Ernst nicht sein. Komm und lerne die Wiener besser kennen. Sie sind wohl ein lustiges Völklein, aber ihr Kopf und Herz steht dem Schönen und Großen weit offen.

»Wir wollen es überlegen,« war endlich seine Schlußbemerkung.

Wie ungegründet seine Besorgniß war, hat die Folge bewiesen, und ich werde später Gelegenheit haben, davon zu sprechen, welche Fülle von Genüssen sein Genius bieten konnte, als die Krankheitserscheinungen an seinem Organismus um weitere sechs Jahre vorgeschritten waren.

Die Nachricht meiner Ankunft in Berlin war kaum constatirt, so begann der Guerillas- und Belagerungskrieg der Journalistik.[274]

Die Journalistik unserer Tage, welche durch Zeit und Verhältnisse eine ganz andere Richtung und Bedeutung gewonnen hat, wird selbst die Verkommenheit des damaligen Berliner Recensentenwesens kaum noch wahrscheinlich finden. Bei einigem Feingefühl konnte man wahrhaftig über diese Menschen schamroth werden. Man machte mir ganz ungenirt die schamlose Zumuthung, meinen künstlerischen Leumund durch ein klingendes Vergleichsverfahren sicherzustellen.

Nun war mir in meiner Laufbahn nichts verächtlicher, als solche unverschämte Anforderungen und die Selbsterniedrigung zaghafter oder eitler Collegen, sich dergleichen Drohungen zu fügen.

Ich weiß recht wohl, daß gewisse Politiker unter den Schauspielern, die einen gepriesenen Namen erwerben wollten, aus Furcht vor spitzigen Federn klein beigegeben und sich damit getröstet haben, daß die Recensenten sie zwar 30.000 Thaler gekostet, dagegen aber durch erkaufte Kritiken 100.000 Thaler eingetragen haben.

Mein Stolz hat sich dazu nie hergeben können.

Bist du was Rechtes, so raisonnirte ich, so werden sie dir schließlich doch nichts anhaben können und das Publicum behält immer das letzte Wort. Verlästert man dich ohne Grund, so lacht der Leser über das ruchlose Zeitungsblatt und am nächsten Tage verschwindet es. Du aber bleibst den Zeitgenossen das, wofür sie dich erkennen. Ich habe mich in dieser Voraussetzung nicht geirrt. Auch ist es eine tröstliche Erscheinung, daß bessere Kritiker vor einem Künstler, der sich einen Namen mit redlichen Mitteln erworben hat, schließlich[275] um so mehr Achtung haben, je weniger er sich vor ihnen gebeugt hat.

Als es bekannt wurde, daß ich so verwegen sei, mich dem üblichen Anzapfungssysteme zu entziehen, brach der Janhagel über mich herein. Als aber ein anderer Theil der Kritik mich leidenschaftsloser beurtheilte und das Publicum Berlins mich allmälig anerkannte und schließlich auszeichnete, wurden diese jugendlichen Schreier rein toll und trösteten die Lesewelt mit der ohnmächtigen Phrase, daß der laute Beifall doch kein ästhetischer Beifall sei und daß die Menge nicht für das Urtheil der Kenner entschädige, welche in einer Stadt wie Berlin gewohnt seien, wahre Künstler zu bewundern.

Ich habe mit Rellstab, Devrient, Raumer und anderen Freunden über diese vergeblichen Anstrengungen viel und herzlich gelacht und entschädigte mich desto mehr in dem Kreise der Berliner Kunstgenossen. Hier fand ich noch die Veteranen Beschort und Mattausch, das Ehepaar Wolff und meinen alten Devrient; hier wirkten in der Blüte ihrer Jahre Lemm, Gern, Auguste Stich; hier fand ich Rebenstein, Crüsemann, Wilhelmine Unzelmann (Werner) und Andere.

Von meinen damaligen Gastrollen sind mir Oerindur, Posa, Sigismund in »Leben ein Traum«, Don Gutierre und Wallenstein im Gedächtnisse geblieben. Namentlich die beiden letztgenannten Rollen waren es, die mich bei dem Berliner Publicum in der ehrenvollsten Weise accreditirten.

Die schmeichelhafteste Aufnahme ward meiner Gattin als Suschen in »Bräutigam aus Mexiko«, als Margarethe[276] in den »Hagestolzen« und als Gurli zu Theil, so daß der verstorbene König Friedrich Wilhelm III., ein besonderer Gönner der heiteren Muse, sie durch die Einladung auszeichnete, vor ihm in Charlottenburg zu spielen. Es wurde Jünger's »Entführung« und Holbein's »Verräther« gewählt und ich bat um die Erlaubniß, als Pächter Berger in letzterem Stücke mitwirken zu dürfen.

Der König war so herablassend, im Zwischenacte auf die Bühne zu kommen und meiner Frau seine besondere Anerkennung persönlich auszusprechen, wobei er den gnädigen Wunsch ausdrückte, uns in Berlin bald wiederzusehen. Sein Wunsch hat sich nicht realisirt, denn meine später wiederholten Ansuchen um Gastspiele stießen jederzeit auf Hindernisse.


Quelle:
Anschütz, Heinrich: Erinnerungen aus dessen Leben und Wirken. Wien 1866, S. 270-277.
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